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Marbacher Exponate






Erotik der Tippografie
Der Albtraum aller Sprach- und Sittenwächter

Von Michael Bienert

Die 1334 großformatigen Typoskriptseiten von „Zettels Traum“ sind der Alptraum, Verzeihung: Albtraum aller Sprach- und Sittenwächter. „Es gottert & klottert & schlottert der Piphan für Stoltz !“ - dem sprachbesessenen Wortmetz Arno Schmidt schien die Orthografie ein zu wichtiges Ausdruckinstrument, um sich dem Duden-Diktat zu beugen. Was ihn nicht abhielt, ein eifriger Liebhaber von Wörterbüchern zu sein. Einige aus seinem Nachlass wird man in der Arno-Schmidt-Sonderausstellung sehen, die seit 30. März im Schiller-Nationalmuseum zu sehen ist.

Neben Zettelkästen und Zimmermannsbleistiften aus der Dichterwerkstatt ist auch Fränzel „im Rottn Badeanzuck“ in Marbach zu Gast. Das Urbild der Romanfigur Franziska Jacobi, die das erotische Begehren des Protagonisten Pagenstecher in „Zettels Traum“ anheizt, hat der Autor aus einem Wäschekatalog ausgeschnitten. Die Marbacher Dauerausstellung im Literaturmuseum der Moderne wird ab 6. Juni eine der letzten Arbeitsstufen von Schmidts Opus magnum zeigen. Mit dem Nachlass des Lektors Ernst Krawehl sind einige Seiten von „Zettels Traum“ als Negativmontage ins Archiv gekommen, auf denen der Text sich weiß von einem schwarzen Hintergrund abhebt. Schmidt hat die DIN-A-3 Seiten mit drei Spalten betippt und handschriftlich korrigiert. Die linke Kolumne ist Werk und Leben Edgar Allen Poes vorbehalten, die mittlere der Haupthandlung, die rechte bietet Erzählerkommentare, Zitate und Rundfunknachrichten.

Auch dieses selbst geschaffene Ordnungssystem machte sich der Autor sofort durch Regelverstöße geschmeidig. Auf dem abgebildeten „Zettel 10“ stösst rechts oben eine erotische Fantasie in die Hauptspalte hinein, unten links drängt eine Assoziation um ein „tiller=Girl, Marke Venus“ den Haupttext zur Seite. Mitten auf der Seite beginnt die Romanfigur Fränzel die Erzählung "Das Schauerfeld" des Romantikers Fouqué zu lesen. Ein Schauerfeld - das ist auch die abgebildete Textfläche, deren bewegte Typographie, genauer: Tippografie die erotische Aufgeregtheit des Erzählers versinnlicht.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der "Stuttgarter Zeitung" - die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors. Foto: © Chris Korner/ DLA Marbach. Das beschriebene Exponat ist in der Dauerausstellung des Literaturmuseums der Moderne (LiMo) in Marbach zu sehen.